Neue Berufskrankheiten: Fokale Dystonie – der Musikerkrampf

Berufskrankheiten Fokale Dystonie Handdystonie Musikerkrampf

Von der sogenannten Handdystonie sind u. a. Geiger betroffen

Bewegungsstörungen, chronische Schmerzen und der Verlust der feinmotorischen Kontrolle – wer als Berufsmusiker tätig ist, kennt das Risiko der fokalen Dystonie. Bereits Robert Schumann soll unter der fokalen Dystonie, dem sogenannten Musikerkrampf gelitten haben. Dennoch hat es lange gedauert bis die seit Jahrhunderten bekannte Erkrankung in die Liste der Berufskrankheiten der gesetzlichen Unfallversicherung aufgenommen wurde. Dies geschah erst kürzlich, im August 2017, auf entsprechende Empfehlung des Ärztlichen Sachverständigenbeirats. Die Erkrankung tritt bei Musikern auf, die komplexe Bewegungsprogramme täglich mit hoher Präzision und Geschwindigkeit abrufen und einüben. Wer stereotype Bewegungsabläufe unter besonderer Konzentration und Ansprannung mehrere Stunden täglich ausführt, ist gefährdet. Betroffen sind vorwiegend Pianisten, Geiger, Gitarristen oder Bläser und Perkussionisten. Die Liste ist allerdings nicht abschließend. Das klinische Erscheinungsbild der Erkrankung ist aufgabenspezifisch. Eine häufige Form bei Musikern aus allen Bereichen ist die sogenannte Handdystonie. Der Musiker ist dann nicht mehr in der Lage, die Funktion seiner Hand zu kontrollieren. Ein plötzlich auftretendes Einrollen, Strecken oder Spreizen einzelner Finger zeigt sich zunächst nur beim Spielen schneller Abschnitte. Blasmusiker weisen Symptome der orofazialen Ansatzdystonie auf, also einer Störung der Muskulatur im Mund-Gesichtsbereich. Mögliche Folgen sind eine gestörte Kau-, Beiß- und Schluckentwicklung und Artikulationsstörungen. Es kann auf Dauer auch zu Zahn- und Kieferfehlstellungen kommen. Der überwiegende Teil von einer fokalen Dystonie betroffenen Berufsmusiker erleidet infolge der Störung erhebliche berufliche Einbußen. Fast ein Drittel ist sogar zur Aufgabe des Berufs gezwungen.

Vorsorgeuntersuchung am Instrument

Es sind zunächst nur minimale Unzulänglichkeiten, die sich im Anfangsstadium für Außenstehende kaum bemerkbar machen. Doch schon der kleinste Funktionsverlust führt bei Profi-Musikern zu schwerwiegenden Leistungseinbußen, die eine Ausführung ihres Berufs auf Dauer unmöglich machen. Betroffene klagen zunächst weniger über Schmerzen, als über schnelle Ermüdung der Gliedmaßen und über unkontrollierbare Fehlbewegungen. In der Diagnostik muss der Arzt oder Betriebsarzt die Erkrankung von Nervenkompressionssyndromen, wie dem Karpaltunnelsyndrom, abgrenzen. Er muss den Musiker direkt bei der Arbeit an seinem Instrument untersuchen. Die Dystonie ist teilweise therapierbar, beispielsweise durch die Injektion von Botox zur Lockerung der betroffenen Muskelpartien. In Betracht kommt dies allerdings nicht bei der Ansatzdystonie bei Blasmusikern. Eine dauerhafte Besserung lässt sich im Übrigen in der Regel nicht herbeiführen. Sobald die Wirkung der Injektion nachlässt, treten die Symptome wieder auf. Auch andere Maßnahmen, wie Akkupunktur oder ergonomische Veränderungen, führen mittelfristig allenfalls zu einer Besserung der Symptome. Experten sehen daher dringenden Bedarf in der Prävention, die beispielsweise darin bestehen kann, Musiker im Hinblick auf “günstiges Verhalten” (Vermeidung von Zwangshaltung) am Instrument zu schulen.

Der lange Weg zur Anerkennung einer Berufskrankheit

Der lange Weg zur Aufnahme der Musiker-Dystonie in die Liste der Berufskrankheiten erklärt sich unter anderem daraus, dass es bisher nur wenige Studien zur Ursache der Erkrankung gab. Der Ärztlichen Sachverständigenbeirat ist nach Sichtung der internationalen Studienlage schließlich zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich um eine neurologische Erkrankung handelt, die im Wesentlichen durch die Bewegungsabläufe beim Musizieren hervorgerufen wird. Auf dieser Grundlage hat er seine Empfehlung an das Bundesministerium für Gesundheit und Soziales abgegeben. Hätte es sich dagegen im Wesentlichen um eine psychisch bedingte Störung gehandelt, hervorgerufen beispielsweise durch den extremen Leistungsdruck und die Konkurrenzsituation unter Orchestermusikern, wäre der Musikerkrampf nicht als eigene Berufskrankheit anzuerkennen. Auszuschließen war weiterhin, dass andere Ursachenfaktoren, z.B. genetische Faktoren, für die Dystonie hauptverantwortlich sind. Autor: Karl-Hermann Leukert