Stress am Arbeitsplatz – und wie die Gerichte urteilen

Stress Arbeitsplatz Gericht

Nicht selten landen stressbedingte Arbeitsüberlastungen vor Gericht

Viele Arbeitnehmer leiden unter starkem Termin- und Leistungsdruck. Potenzielle Stressfaktoren: Die gleichzeitige Betreuung verschiedener Aufgaben, Störungen durch Telefonate oder E-Mails sowie der Verzicht auf Pausen wegen Arbeitsüberlastung.

Von der Arbeitswelt zum Arbeitsrecht ist es nicht weit. Schließlich versuchen Arbeitnehmer immer wieder, ihr Recht am Arbeitsplatz durchzusetzen. Das gilt auch für Beschäftigte, die sich aus den verschiedensten Gründen gestresst fühlen. Zum Beispiel durch…

… die Kollegen

Vor dem Landesarbeitsgericht Hamm ließ sich ein Maschinenbediener dazu hinreißen, einen türkisch-stämmigen Kollegen als „kleinen Dreckstürken“ zu bezeichnen, nachdem dieser und ein dritter Kollege ihn wegen einer Pausenablösung „verarscht“ hatten. Keiner der beiden wollte den Mann an der Maschine ablösen, was zum Disput führte.

Der Arbeitgeber kündigte dem Mitarbeiter fristlos, weil in dieser Beleidigung „nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen“ gelegen hatte, die nicht mehr von der Meinungsäußerung gedeckt sei. Das Recht auf freie Meinungsäußerung schütze weder vor Formalbeleidigungen oder vor bloßen Schmähungen noch vor bewusst unwahren Tatsachenbehauptungen. So könne also auch eine einmalige Ehrverletzung kündigungsrelevant sein. Jedoch kam das Gericht mit Blick auf die Gesamtsituation zu dem Ergebnis, dass der Arbeitgeber in diesen speziellen Fall verpflichtet gewesen wäre, zunächst eine Abmahnung zu erteilen. Denn es sei der erste und einzige Vorfall dieser Art gewesen. Gut für den (seit 25 Jahren in dem Betrieb beschäftigten) Maschinebediener, weniger gut – wahrscheinlich – für das Arbeitsklima. (AZ: 15 Sa 1358/16)

… den Arbeitgeber

Wieder ein Maschinenbediener. Dessen Arbeitgeber beabsichtigte, ihn nach einer dreimonatigen Suchttherapie von der Nachtschicht in die Wechselschicht zu versetzen. Der Arbeitnehmer war damit nicht einverstanden und verlangte, dass zuvor ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) hätte durchgeführt werden müssen. Das sah das Bundesarbeitsgericht jedoch nicht als zwingend an. Auch in Fällen, in denen eine solche Anordnung des Arbeitgebers auf Gründe gestützt wird, die im Zusammenhang mit der Gesundheit des Beschäftigten stehen, sei das BEM keine „formale Voraussetzung“. Maßgebend sei, ob der Arbeitgeber insgesamt nach „billigem Ermessen“ gehandelt und einzelfallbezogene Gründe berücksichtigt hatte, wie die Tatsache, dass für den betreffenden Mitarbeiter die Wechselschicht weniger stressig sein würde als die Nachtschicht. (AZ: 10 AZR 47/17)

… erschrockene Kunden

Für einen Arbeitgeber, der einer Mitarbeiterin in „diskriminierender Weise“ gekündigt hatte, wurde es teuer. Er musste der Frau eine Entschädigung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zahlen – und zwar in Höhe von drei Bruttomonatsgehältern (was hier in Summe 5.400 € ausmachte). Was war passiert?

In einer Spedition bekam eine Sachbearbeiterin mit russischem Akzent während der Probezeit von ihrem Chef zu hören, dass sich die Kunden wegen des Akzents „erschrecken“ würden. Ferner könne es sich die Firma nicht leisten, dass die Kunden denken würden: „Was für ein Sch…-Laden, in welchem nur Ausländer beschäftigt werden“.

Nach diesem Vorwurf durfte sie das Telefon nicht mehr bedienen, erhielt keine neuen Arbeitsaufträge mehr und wurde nur noch mit Kaffeekochen und dem Erstellen von Deckblättern beauftragt. Die Kündigung erhielt sie noch in der Probezeit: „betriebsbedingt wegen der schlechten Auftragslage“. So nicht, urteilte das Landesarbeitsgericht Bremen-Niedersachsen. Es sah keinen Grund für die Entlassung. Die Spedition habe die Vermutung nicht widerlegt, dass die Kündigung nur deswegen ausgesprochen wurde, „weil die Geschäftsführung die Angestellte wegen ihrer ethnischen Herkunft für den Betrieb als nicht vorteilhaft ansah.“ (AZ: 1 Sa 29/10)