Zurück zu den goldenen Karenztagen?
Krank oder nicht krank, das ist für Unternehmen immer öfter die Frage. Viele beklagen einen historischen Höchststand bei den Krankschreibungen. Die Erklärung seitens der Arbeitgeber ist im Grunde immer gleich. Die derzeit herrschenden Regeln wie telefonische Krankschreibung, vor allem aber der Verzicht auf Karenztage und die damit verbundene Lohnfortzahlung in Krankheitsfall stellt für sie geradezu eine Einladung zum Blaumachen dar. Doch ist das tatsächlich so? Es gibt Statistiken, die das auf den ersten Blick untermauern, doch langfristige Analysen lassen letztlich daran Zweifel aufkommen. DOKTUS versucht die Diskussion einzuordnen.
Prominente Fürsprecher für den Karenztag
Zuletzt hat sich dann auch noch Wolfgang Grupp eingebracht. Der meinungsstarke Textilunternehmer aus dem schwäbischen Burladingen hat zwar seine Firma Trigema mittlerweile an seine Kinder abgegeben, doch mit seinem Podcast „Grupp gesagt“ hat der 82-jährige ein neues Betätigungsfeld gefunden und sich dort auch zum Thema Karenztage geäußert. Er selbst habe nie in seinem Leben blau gemacht, versichert er. Aber er räumt auch ein: „Wir wollen, dass die Kranken, die echt krank sind, schnell genesen und wünschen ihnen alles Gute“. Doch ist er überzeugt, dass gerade während einer Grippewelle, sich viele Blaumacher hinter der Krankheit verstecken. Allerdings will er Karenztage nicht pauschal wieder einführen. Er plädiert für eine Regelung, die es in der 1990er Jahren gab, dass ab dem ersten Krankheitstag nur 80 Prozent des Lohns fortgezahlt werden. Für einen Karenztag tritt der Chef der Allianz, Oliver Bäte ein. Er verweist auf die finanzielle Belastung der Unternehmen, wenn schon ab dem ersten Krankheitstag der Lohn weiter bezahlt werden muss. Auch der Chef von Mercedes-Benz schlägt in die gleiche Kerbe. Ola Källenius findet, dass der hohe Krankenstand ein erhebliches Problem für Unternehmen darstelle.
Wer gegen den Karenztag ist
Wenig überraschend laufen Sozialdemokraten und Gewerkschaften gegen das Ansinnen eines Karenztages Sturm. Arbeitsminister Hubertus Heil sieht in einem Karenztag eine Kollektivstrafe, die auch die tatsächlich Kranken treffe. Diejenigen, die wirklich krank seien, dürften nicht noch zusätzlich bestraft werden. DGB-Chefin Anja Piel sprach gar von einer Unverschämtheit. Die Forderung nach einem Karenztag würde vor allem diejenigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer treffen, die sowieso nur über ein niedriges Einkommen verfügten. Doch selbst aus der Wirtschaft kommt Gegenwird. Carsten Maschmeyer, Ex-Vorstandsvorsitzender des Finanzdienstleister AWD und bekannt aus der TV-Reihe „Höhle der Löwen“, spricht sich ebenfalls gegen den Karenztag aus. Er argumentiert weniger emotional als vielmehr praktisch. Er sieht im Präsentismus eine Gefahr und will deshalb lieber auf den Karenztag verzichten. Er schrieb an den Allianzchef sogar einen Brief, in dem es heißt: „Lieber Oli Bäte, haben Sie einmal darüber nachgedacht, was das in der Praxis bedeutet? Mehr Ansteckungen, längere Krankheitsverläufe, sinkende Produktivität.”
Der Karenztag aus betriebsmedizinischer Sicht
Die Betriebsmedizin kann naturgemäß keine Antwort auf die Frage geben, welche Arbeitnehmerin und welcher Arbeitnehmer blau gemacht hat. Ihre Aufgabe ist es, die Gesundheitsgefahren am Arbeitsplatz abzuwehren. Präsentismus, den Maschmeyer in seinem Brief anspricht, erhöht aber eben jene Gefahren. Ein weiterer Faktor, den Präsentismus mit sich bringt, ist, dass gesundheitlich angeschlagene Beschäftigte auch ein Sicherheitsrisiko darstellen können. Durch mangelnde Fitness oder Konzentration erhöht sich auch an bestimmten Arbeitsplätzen die Gefahr von Unfällen.
Was sagt die Statistik?
Tatsächlich würde die Einführung eines Karenztages den aktuellen Krankenstand zunächst einmal senken. Auch ist es richtig, dass die Zahl der Krankmeldungen ab 2022 sprunghaft angestiegen ist. Das allerdings ist auf zwei Faktoren zurückzuführen. Zum einen gab es die Corona-Pandemie und zum anderen wurde die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eingeführt. Dadurch landet jede Krankschreibung schon am ersten Tag bei der zuständigen Krankenkasse. Zuvor sind viele Krankschreibungen dort gar nicht erst angekommen. Wenn man diesen Effekt berücksichtig, kann der Karenztag am Ende sogar eine gegenteilige Wirkung erzielen. Durch den dann erzwungenen Präsentismus würde die Zahl der Krankschreibungen vermutlich noch steigen.
Peter S. Kaspar
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