Psychische Erkrankungen bald auf der Liste der Berufskrankheiten?

Karneval - Die fünfte Jahreszeit

Traumata und Selbstwertkrisen – die unsichtbaren Leiden auf dem Weg zur Anerkennung als Berufskrankheit

Ein großer Teil aller Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen geht inzwischen auf psychische Beeinträchtigungen zurück. Rund 2,2 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben sich, laut einem Bericht der DAK, im letzten Jahr wegen psychischer Probleme krankschreiben lassen. Natürlich kann auch mal Liebeskummer der Auslöser für eine Depression sein, doch spätestens beim Burn-Out geht eigentlich fast jeder von einem berufsbedingten Leiden aus. Häufig „brennen“ sich Menschen in ihrem Job förmlich aus. Es hat also Gründe, warum Betriebsärztinnen und Betriebsärzte inzwischen genau hinschauen, wie es um die mentale Gesundheit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern steht.

Psyche ist kein Grund für eine Berufskrankheit

Die Liste der anerkannten Berufskrankheiten führt rund 80 anerkannte Berufskrankheiten auf. Sie sind in fünf Kategorien, je nach ihren Ursachen, eingeteilt. Psychische Ursachen? Fehlanzeige. Dabei gibt es einige Krankheitsbilder, die per Definition eigentlich Berufskrankheiten sein müssten, weil sie durch die berufliche Tätigkeit bedingt sind. Der Job kann zu Depressionen führen, zu Angststörungen, Essstörungen, Burn-Out, Sozialphobie… die Liste potentieller berufsbedingter mentaler Störungen ist lang. Glück hat, wer psychisch bedingt auf Kopf- oder Rückenschmerzen verweisen kann. Das könnten ja auch mechanische Störungen durch schlechte Ergonomie am Bildschirmarbeitsplatz sein. Dann würden einem die Segnungen der gesetzlichen Unfallversicherung wieder zu teil.

PTBS könnte zum Türöffner werden

Doch vielleicht könnte sich das in Zukunft ändern. Das ist ironischerweise einem Rettungssanitäter zu verdanken. Seine Berufsgruppe hat naturgemäß mit Umständen zu tun, die einem Normalsterblichen sehr schnell aufs Gemüt schlagen können. Doch auch bei den Helfern bleiben die Bilder und Eindrücke nicht immer in den Kleidern stecken. Im konkreten Fall geht es um einen Rettungssanitäter in Esslingen in Baden-Württemberg. Er erlebte 2009 den Amoklauf von Winnenden mit 13 Toten und wurde Augenzeuge, als der Amokläufer auf seiner Flucht zwei weitere Menschen erschoss und schließlich sich selbst. Das führte bei ihm zu einer schweren Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), die er als Berufskrankheit anerkannt wissen wollte. Das Landessozialgericht in Stuttgart lehnt das ab. Das Bundessozialgericht in Kassel hingegen wandte ein, das die PBTS in diesem Fall als „Wie-Berufskrankheit“ betrachtet werden könne (Aktenzeichen B 2 U 11/20 R) – und verwies den Fall zurück nach Stuttgart. Sollten sich die Richter in der baden-württembergischen Landeshauptstadt dieser Ansicht anschließen, dann könnte der Fall zu einem Türöffner werden.

Ähnliches gilt für Lokführer

Bei der deutschen Bahn wird die Entwicklung aufmerksam verfolgen. Immerhin wählen jedes Jahr rund 800 Menschen den Freitod, indem sie sich vor einen Zug werfen. Für die Lokführer hat das häufig schlimme psychische Folgen. Einige kehren erst nach Monaten wieder in den Führerstand zurück, andere schaffen es nie wieder. Auch in diesem Fall ist die Diagnose jedes Mal PTBS. Was für Rettungssanitäter gilt, müsste dann auch logischerweise für Lokführer gelten.

Geht da noch mehr?

Das eigentlich sensationelle an dem Richterspruch aus Kassel ist, dass erstmals die Möglichkeit in Betracht gezogen wurde, dass eine mentale Beeinträchtigung auch eine Berufskrankheit sein kann. Konsequent zu Ende gedacht müsste dann auch der Befund „Burn-Out“ auf die Liste der Berufskrankheiten gesetzt werden. Wenn das Mobbing eines Kollegen zu einer Sozialphobie führt, ist das sicherlich auch eine berufsbedingte Krankheit.

Was bedeutet „Wie-Berufskrankheit“

Im Grunde wird eine „Wie-Berufskrankheit“ genau so behandelt, wie jede andere Berufskrankheit auch. Sie steht eben nur nicht auf der einschlägigen Liste. Auch wenn das Urteil noch nicht rechtskräftig ist, darf es doch als Hinweis dafür verstanden werden, dass bei einer Novellierung des Sozialgesetzbuches VII die Liste der Berufskrankheiten angepasst werden sollte. Wenn dann lediglich PTBS aufgeführt würde, wäre das allerdings ein wenig absurd.

Wer zahlt am Ende?

Wenn irgendwann auch psychische Erkrankungen als Berufskrankheiten anerkannt werden, wird das massive Folgen für die gesetzliche Unfallversicherung haben. Die Aufwendungen werden vermutlich explosionsartig steigen. Um dem entgegen zu wirken hat DOKTUS einen Rat: Arbeitgeber sollten sich noch intensiver mit ihren Betriebsärztinnen und Betriebsärzten absprechen, um mögliche Quellen für mentale Beeinträchtigungen zu identifizieren und möglichst bald auszuschalten.


Wenn Sie sich über weitere Aspekte zum Thema Arbeitssicherheit und Betriebsmedizin informieren wollen, klicken sie hier oder rufen sie uns an.

Peter S. Kaspar