Franz Kafka – ein Vorkämpfer für den Arbeitsschutz

Kafka

Bilder aus den Originalprotokollen zur Arbeitssicherheit von Franz Kafka.

Anfang Juni 2024 jährte sich der Todestag von Franz Kafka zum 100. Mal. Im Gedächtnis sind seine Novellen „Die Verwandlung“ oder der unvollendete Roman „Das Schloss“ geblieben. Und er ist durch das Adjektiv „kafkaesk“ unsterblich geworden, was eine völlig bizarre und unauflösbare Situation beschreibt. Generationen von Literaturwissenschaftlern haben sich an dem Thema „Kafka und sein Vater“ abgearbeitet und dort Hinweise für seine Themen gesucht. Sein Arbeitsplatz stand dabei weniger im Fokus. Dabei dürfte genau der eine große Rolle für sein Werk gehabt haben. Denn Kafka war nicht nur ein kleiner Versicherungsangestellter, wie viele heute glauben. Er gilt tatsächlich als Pionier des Arbeitsschutzes, wie Schriften von ihm eindrücklich unter Beweis stellen. Ironie des Schicksals: Kafka wurde vermutlich sogar Opfer seines Berufes.

Kafka Hobelmaschine

Viel mehr als ein kleiner Angestellter

Nach seinem Jurastudium arbeitete Kafka zunächst für zehn Monate bei einer privaten Versicherung, ehe er zur „Arbeiter-Unfallversicherungs-Anstalt für das Königreich Böhmen in Prag“ wechselte. Im Grunde lässt sich diese halbstaatliche Einrichtung, allerdings nur sehr grob, mit der Deutschen gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) vergleichen. Allerdings hatte sein Arbeitgeber nichts mit Arbeitsschutz zu tun, sondern ausschließlich mit Schadensregulierung. Kafkas Aufgabe war es zunächst, Unternehmen in Nordböhmen in eine von vier Schadensklassen einzuteilen, nach denen sich einerseits die Versicherungsbeiträge der Unternehmen bemaß, zum anderen die Entschädigung nach Arbeitsunfällen. Und davon gab es reichlich. An seinen Freund Max Brod schrieb er: „In meinen vier Bezirkshauptmannschaften fallen – von meinen übrigen Arbeiten abgesehen – wie betrunken die Leute von den Gerüsten herunter, in die Maschinen hinein, alle Balken kippen um, alle Böschungen lockern sich, alle Leitern rutschen aus, was man hinauf gibt, das stürzt hinunter, was man herunter gibt, darüber stürzt man selbst.“
So reiste Kafka selbst in die Bezirkshauptmannschaft Reichenberg (das heutige Liberec) und unternahm etwas, was man heute als Betriebsbegehung bezeichnen würde. Was er dort erlebte, erschütterte ihn. Seine Appelle, für mehr Arbeitsschutz zu sorgen, den es zu dieser Zeit in Deutschland schon rudimentär gab, verhallten ungehört. Zu teuer, hieß es. Kafka verfasste Berichte, zum Beispiel im Jahr 1910: „Unfallverhütungsmaßregel bei Holzhobelmaschinen“. Er ließ die Folgen von Unfällen an dieser Maschine in seiner Schrift drastisch bebildern. Er ging noch weiter. Die obligatorischen Jahresberichte benannte er nun um. Fortan trugen sie den Titel: „Unfallpropaganda“.

Die Hilflosigkeit im Beruf spiegelt sich im Werk wider

Dass er so wenig ausrichten konnte, kompensierte er damit, dass er nur von seinem „Brotberuf“ sprach, der ihn langweile und nicht im mindesten fordere. Tatsächlich sprechen seine Bemühungen eine ganz andere Sprache. Er reiste nicht nur und versuchte auf die unhaltbaren Zustände aufmerksam zu machen, als Jurist vertrat er auch immer wieder Unfallopfer vor Gericht. Doch auch das hatte seine Grenzen: Die Versicherungsbeiträge der Unternehmen waren angesichts der zahlreichen Arbeitsunfälle viel zu gering, als dass nennenswerte Beträge ausgezahlt werden konnten. Bei Arbeitsunfähigkeit lag die Entschädigung bei maximal einem Jahreslohn. Kafka deutete sein eigene Hilflosigkeit gegenüber Max Brod an: „Wie bescheiden diese Menschen sind. Sie kommen zu uns bitten. Statt die Anstalt zu stürmen und alles kurz und klein zu schlagen.“ Immer wieder scheitert Kafka an der Bürokratie, was auch in vielen seiner Erzählungen zum Thema wird.

Vorsorge Absturzgefahr G 41

Kafka galt als unentbehrlich

Auch wenn er selbst an der Situation beinahe verzweifelte, wurde er offenbar von seinem Arbeitgeber hoch geschätzt. In relativ kurzer Zeit wurde er vier Mal befördert. Als der erste Weltkrieg ausbrach, wurde Kafka zwar als voll kriegstauglich gemustert, doch dank der Intervention seines Arbeitgebers wurde er nicht eingezogen – gegen seinen Willen übrigens. Er galt bei der Versicherungsanstalt als unentbehrlich.

Hat ihn seine Arbeit umgebracht?

Es ist zwar nicht zu beweisen, aber der Gedanke liegt nahe, dass die letztlich tödliche Infektion mit Tuberkulose heute als beruflich bedingte Krankheit eingestuft würde. Mit Beginn des Krieges strömten zahllose ostjüdische Flüchtlinge nach Prag. Kafkas Aufgabe ähnelte dem, was man heute Berufliches Eingliederungsmanagement (BEM) nennt. Er kümmerte sich um Rehabilitation von Kranken und Verwundeten, sorgte für berufliche Umschulung und Arbeitsplätze. Etliche hatten sich bei der Flucht Krankheiten zugezogen, unter anderem Tuberkulose. Im August 1917 erlitt Kafka einen Blutsturz, in dessen Folge Lungentuberkulose diagnostiziert wurde. Zwar besserte sich sein Zustand zunächst, doch 1918 erkrankte er an der spanischen Grippe, gefolgt von einer mehrwöchigen Lungenentzündung. Er wollte seine Tätigkeit beenden, doch die Arbeiter-Unfall-Versicherung entließ ihn erst vier Jahre später aus seinem Dienstverhältnis. Am 3. Juni 1924 starb Franz Kafka im Alter von 40 Jahren.

Peter S. Kaspar