Behördenbesuche in Betrieben

Arbeitsunfall

Ein Arbeitsunfall kann eine Behördenkontrolle nach sich ziehen

Noch zu wenig Kontrollen in den Betrieben

Eine große Anzahl von deutschen Firmen widmet sich vorbildlich dem Thema Arbeitsschutz. Andere gehen eher lax damit um, da sie sich entweder möglicher Gefahren nicht bewusst sind oder diesbezügliche Kontrollen als unwahrscheinlich einstufen. Doch all die diejenigen, die Arbeitsschutz bislang stiefmütterlich behandelt haben, sollten ihre Einstellung gründlich überdenken. Hintergrund ist die Erweiterung des Arbeitsschutzgesetzes um eine „Mindestbesichtigungsquote“. Mit dieser Novellierung soll sichergestellt werden, dass ab 2026 die zuständigen Behörden im Laufe eines Kalenderjahres eine Mindestanzahl an Betrieben begutachten. Die Rede ist von mindestens fünf Prozent der Unternehmen eines Bundeslandes.

Papier ist bekanntlich geduldig und so dürfte man davon ausgehen, dass die Bundesrepublik Deutschland über ein sehr detailliertes und ausgefeiltes Arbeitsschutzgesetz verfügt. Das mag ja stimmen und würde man einfach auf die Macht des gedruckten Wortes vertrauen, sollte es hierzulande nur wenige Probleme mit dem Arbeitsschutz geben. Aber schon der russische Revolutionär Lenin mahnte angeblich, dass Vertrauen zwar gut, aber Kontrolle besser sei. Tatsächlich rangiert Deutschland nach Einschätzung der EU in Sachen Arbeitsschutz eher am Ende der Skala. Der ehemalige Professor der Universität Halle-Wittenberg, Wolfhard Kohte, sieht Deutschland in einer Reihe mit Bulgarien und Ungarn.

Zu wenige Kontrolleure kontrollieren zu selten

Tatsächlich müssen Betriebe in den meisten Branchen kaum mal den Besuch von Kontrolleuren fürchten, die wissen wollen, wie es um den Arbeitsschutz vor Ort bestellt ist. Je nach Bundesland und Branche kann es hochgerechnet fast 50 Jahre dauern, bis eine Firma in Sachen Arbeitsschutz unter die Lupe genommen wird. Einem Beitrag des Sozialwissenschaftlers Prof. Stefan Sell ist zu entnehmen, dass im Bundesdurchschnitt Betriebe alle 25 Jahre begutachtet werden.

Fleischindustrie bringt den Stein ins Rollen

Wie wenig manche Betriebe sich um den Arbeitsschutz scheren, wurde 2020 offenbar, als in einigen Unternehmen der Fleischindustrie Corona ausbrach. Die daraufhin angesetzten Kontrollen brachten ein erschütterndes Ergebnis zu Tage. Immerhin, die Politik reagierte schnell und brachte ein Gesetz auf den Weg, durch das sich die Situation in dieser Branche verbessern sollte. Doch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil ging noch einen Schritt weiter und so wurde das Arbeitsschutzgesetz um eine „Mindestbesichtigungsquote“ ergänzt. Danach werden die Bundesländer dazu verpflichtet, spätestens ab 2026 jedes Jahr mindestens fünf Prozent aller Betriebe zu kontrollieren.

Das „Musterländle“ ist gar nicht vorbildlich

Vier Jahre sind nicht viel Zeit, um diese Vorgaben zu erreichen. So machten sich Mitarbeiter von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung an eine Bestandsaufnahme. Sie wollten wissen, wie es um die Arbeitsschutzkontrollen in den einzelnen Bundesländern bestellt ist. Während in einigen Bundesländern Bemühungen erkennbar sind, die Situation zu verbessern, sieht es in anderen ziemlich düster aus. Ausgerechnet das „Musterländle“ Baden-Württemberg erreicht gerade mal eine Quote von 0,8 Prozent und liegt damit deutlich unter den derzeitigen Bundesdurchschnitt von 2,4 Prozent. Nur das Saarland schneidet noch schlechter ab.

Zu wenig Ausbildung, zu viele Abgänge

Die Bundesländer beklagen allerdings den Personalmangel und sehen sich kaum in der Lage, die Vorgaben des Bundes umzusetzen. In Sachsen gehen von 100 Kontrolleuren demnächst 16 in Rente. Noch schlimmer ist, dass dort gar kein Nachwuchs in Sicht ist. Auch in anderen Bundesländern sieht es schlecht aus. In Hessen werden gerade mal 11 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Kontrollaufgaben ausgebildet. Um die 5-Prozent-Quote zu erreichen, müsste es ein Vielfaches sein. Das vielgescholtene Berlin kommt mit einer Quote von 2,2 Prozent dem Bundesdurchschnitt wenigstens nahe.

Wer kontrolliert die Kontrolleure?

Ein Gesetz zu schreiben ist eine Sache, es umzusetzen aber eine andere. So hat die Regierung eine Bundesfachstelle „Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit“ geschaffen und die mit fünf Mitarbeitern und einem Etat von 1,6 Millionen Euro ausgestattet. Die sollte nun eigentlich die Fortschritte in den Bundesländern kontrollieren. Doch das kann sie nicht, denn zunächst einmal müssen die Daten der Länder vereinheitlicht werden. Damit haben die Beamten dann erst einmal die nächsten vier Jahre zu tun. Erst dann können die Kontrolleure des Bundes kontrollieren, wie viele Kontrollen die Kontrolleure der Länder denn tatsächlich geschafft haben.

Fast alle Parteien einig

Von der Opposition weht der Regierung nun natürlich ein rauer Wind ins Gesicht. So fordert der CSU-Abgeordnete Stephan Stracke, dass die Bundesregierung auch ihre Rechtsaufsicht über die Länder wahrnehmen müsse. Der Arbeitsexperte der SPD, Michael Gerdes, gibt zu, dass man es im Gesetzgebungsverfahren damals versäumt habe, sich bereits vor 2026 auf Zwischenprüfungen zu einigen. Einer Partei hingegen geht das alles allerdings sowieso viel zu weit. Der FDP-Abgeordnete Carl-Julius Cronenberg meint, dass man so alle Unternehmen unter Generalverdacht stelle.

Peter S. Kaspar