Flexibel oder schädlich

Wochenarbeitszeit

Der Acht-Stundentag ist in Deutschland eine Art Heilige Kuh. Wer an ihm rüttelt begeht beinahe ein sozialpolitisches Sakrileg. Genau zu diesem ist die Union, kaum an die Regierung gekommen, nun bereit. Allerdings, so beteuern die Verfechter der Wochenarbeitszeit, gehe es gar nicht darum, die Arbeitszeit zu erhöhen, sondern nur, sie flexibler zu gestalten. Tatsächlich bedeutet der Achtstundentag ein enges Korsett, das nur in Ausnahmefällen, und dann auch nur ein wenig, aufgeschnürt werden darf. Während die einen fürchten, dass mit der Wochenarbeitszeit durch die kalte Küche Mehrarbeit eingeführt wird, glauben die anderen, dass sie der darbenden Wirtschaft einen Schub geben könnte, ohne dass es etwas kostet. Doch es gibt auch noch einen dritten Punkt, den sich DOKTUS genauer ansieht. Wie sieht es denn mit dem Arbeitsschutz aus? Kann der denn bei einer Wochenarbeitszeit noch ausreichend gewährleistet werden?

Zwei Seelen in der Brust der Gewerkschaften

Eigentlich, so könnte man vermuten, sollten doch die Gewerkschaften eiserne Verfechter des Achtstundentages ein. Doch gerade am Beispiel der Gewerkschaften zeigt sich, wie zweischneidig das Thema Arbeitszeit ist. Einerseits spielt die Arbeitssicherheit stets eine zentrale Rolle. Andererseits geht es auch um die Familie. Als die Gewerkschaften 1956 um die Vierzigstundenwoche und den freien Samstag kämpften, stand nicht der Arbeitsschutz im Vordergrund, sondern die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie. Der Slogan damals: „Samstags gehört Vati mir“ gehört zu den ikonischen Parolen der 50er Jahre. Eine Flexibilisierung der Arbeitszeit könnte eben genau den Familien wieder zu gute kommen. Doch wird das auch passieren? Die Gewerkschaften sind misstrauisch. Dass die tägliche Arbeitszeit bis auf maximal 13 Stunden ausgedehnt werden könnte, ist mit ihnen nicht zu machen. Zudem sieht zumindest die IG Metall bereits eine sehr einseitige Flexibilisierung der Arbeitszeit. Die Vorsitzende der IG Metall, Christiane Benner, bezifferte in der ARD die jährlichen Überstunden auf eine Milliarde, von der die Hälfte auch noch unbezahlt abgeleistet würden. Spätestens hier kommt wieder die Verantwortung für die Gesundheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ins Spiel. Weder die IG Metall noch irgendeine andere DGB-Gewerkschaft wird einer Regel zustimmen, die die Gesundheit gefährdet.

Wie gefährlich ist ein langer Arbeitstag?

Die Hoffnung auf eine Produktivitätssteigerung durch die Flexibilisierung der Arbeitszeit könnte allerdings sehr schnell an arbeitsmedizinischen Realitäten scheitern. Untersuchungen zeigen, dass Leistungsfähigkeit und Konzentration nach acht Stunde Arbeit zügig nachlassen. Nach zehn Stunden kann dann schon ein kritischer Punkt erreicht werden, bei dem das Führen von Maschinen und Fahrzeugen gefährlich wird. Die deutsche gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) hat zudem herausgefunden, dass ein deutliches Überschreiten der achtstündigen Arbeit auch die Regenerationsfähigkeit reduziert. Wenn aber die Erholungsphasen nicht mehr richtig funktionieren, könnte das auch das Unfallrisiko am Arbeitsplatz deutlich erhöhen.

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Wo liegen die Kompromisslinie?

Viele Arbeitnehmer können sich eine Wochenarbeitszeit durchaus vorstellen, verheißt sie doch mehr freie Tage am Stück. Dort, wo die 30 oder 35 Stundenwoche schon Standard ist, dürfte eine Flexibilisierung einfacher umzusetzen sein, als in Betrieben, die noch auf die klassische 40-Stunden-Woche setzen. Grundsätzlich würden sich auch Gewerkschaften einer Wochenarbeitszeit nicht verschließen. Die Bedingung muss allerdings sein, dass die Arbeitszeiten in Einklang mit dem Arbeitsschutz gebracht werden können. Hier allerdings ist ein Knackpunkt. Aus Arbeitsschutzgründen lässt sich die tägliche Arbeit kaum so weit ausdehnen, wie es wohl mancher auf Arbeitgeberseite gerne sähe. Möglicherweise wären neue Pausenregelungen ein gangbarer Weg. Vielleicht aber funktioniert die Vorstellung einer Wochenarbeitszeit auch nicht in jeder Branche. Wer zum Beispiel körperlich schwer arbeitet, wird irgendwann an seine natürlichen Grenzen stoßen. Andere können von der Arbeit gar nicht genug bekommen und fühlen sich nach 12 Stunden noch frisch. Möglicherweise ist das der Weg: Wenn die Flexibilisierung der Arbeitszeit eine individuelle wäre, in der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für sich selbst entscheiden könnten, wie sie ihre wöchentliche Arbeitszeit verteilen, könnte das vielleicht einen Lösungsansatz darstellen.

Peter S. Kaspar

Bildquelle: iStock, Shendart

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