Die Knie der Kicker

Gonarthrose

Die Frage: Was ist eine Berufskrankheit und was nicht, ist ein Dauerbrenner vor deutschen Sozialgerichten. Meistens sind es Klagen Einzelner, die sich jahrelang durch alle Instanzen gekämpft haben und schließlich letztinstanzlich Recht bekamen. Die Folgen eines solchen Urteils betreffen am Ende aber nicht nur einen Menschen, sondern eine ganze Menge, nämlich all jene, die in dem gleichen oder einem ähnlichen Beruf arbeiten und von den gleichen Leiden betroffen sind. Hat nämlich eine solche Klage Erfolg, muss die Krankheit, um die verhandelt wurde, in die Liste der Berufskrankheiten in der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) aufgenommen werden. Doch eine Aufnahme in diese Liste muss nicht unbedingt gerichtlich erstritten werden. Wie es auch funktionieren kann, zeigt das Beispiel einer vergleichbar kleinen Berufsgruppe, nämlich der Berufsfußballer. DOKTUS erklärt, was dahintersteckt.

Fußballer haben eine Berufskrankheit

Seit Anfang 2025 haben Berufsfußballer in Deutschland etwas, was sie von allen anderen Profis in anderen Sportarten abhebt: Sie haben eine eigene Berufskrankheit. Nun ist Leistungssport an sich schon sehr fordernd und nicht wenige Profisportler haben nach ihrer Karriere mit mehr oder minder großen gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. Doch die Folgen oder Spätfolgen einer sportlichen Laufbahn haben nie gereicht, um juristisch gesehen zu einem Versicherungsfall zu werden. Zwar gibt es den Begriff des „Sportinvaliden“, doch der hat keinerlei rechtliche Bedeutung. Er beschreibt lediglich die Situation eines Menschen, der durch seinen Sport für den Rest seines Lebens körperlich beeinträchtigt bleibt. Mit den Profifußballern ändert sich das nun. Ihre Berufskrankheit heißt: Gonarthrose. Es handelt sich dabei um eine Arthrose des Kniegelenks.

Kein Kläger – weit und breit

Angesichts der Millionengehälter, die die Profis in der ersten Bundesliga einstreichen, scheint es schon ein wenig merkwürdig, warum auf einmal schwerreiche Fußballer für den Fall eines Falles so abgesichert sein müssen. Sofort will man natürlich wissen: Wer hat geklagt? Einst hatte das Bosman-Urteil die Welt des Profifußballs komplett umgekrempelt. Und nun stellt sich natürlich die Frage, wer ist dieses Mal der Bosman, der Fußballern ihre eigene Berufskrankheit beschert. Die Antwort ist allerdings erschütternd einfach: Es gibt keinen! Doch wie schaffte es die Gonarthrose dann auf die so exklusive Liste der Berufskrankheiten? Immerhin gibt es ganz andere Berufsgruppen, von den Bodenlegern bis zum Pflegepersonal, die unter ähnlichen Gebrechen leiden und deren Kniearthrose nicht als Berufskrankheit anerkannt wird. Eine schreiende Ungerechtigkeit?

Vorsorge Bildschirm G 37

Hohe Hürden für eine Berufskrankheit

Der Gesetzgeber und die Gerichte haben die Latte sehr hochgelegt, die es zu überwinden gilt, will man eine Berufskrankheit auf die erwähnte Liste bekommen. So heißt es: „Es muss ein klarer, wissenschaftlich belegter Zusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit und der Erkrankung bestehen, der über das allgemeine Lebensrisiko hinausgeht.“ Die oben genannten Berufsgruppen haben vor Gericht diese Latte regelmäßig gerissen. Dass sie nun ausgerechnet von Fußballern überwunden wird – und das ohne jeglichen Klageweg – scheint auf den ersten Weg ebenso verblüffend wie ärgerlich. Schließlich verdienen die meisten Fußballer genug Geld, um im Zweifelsfall für sich selbst sorgen zu können. Allerdings sticht dieses Argument nur bei Spielern der ersten und vielleicht noch zweiten Liga. Ab der dritten Liga und den Regionalligen sind die Einkünfte längst nicht mehr so üppig.

Ein Pilotprojekt durch die Hintertür

Doch was sich im ersten Moment so unfair anfühlt, entpuppt beim zweiten Hinsehen allerdings als große Chance für die anderen Berufsgruppen, die ebenfalls von der Gonarthrose betroffen sind. Wie nämlich das Knieleiden auf die Liste ausgerechnet für Fußballer kam, ist eine ganz eigene Geschichte. Angefangen hat alles mit einer medizinischen Studie zum Thema Gonarthrose. Dafür eignen sich Fußballer besonders gut, weil sie in der vergleichsweise kurzen beruflichen Laufbahn ihre Kniee sehr extremen Belastungen aussetzen. Zweikämpfe, abrupte Richtungswechsel, Sprünge – und das bei jedem Spiel und jeder Trainingseinheit. Am Ende dieses Projekts kam heraus, dass die Gonarthrose alles hat, was eine ordentliche Berufskrankheit braucht. Diese Erkenntnis war nicht unbedingt das Ziel. Aber da sie nun mal da war, empfahl der Ärztliche Sachverständigenbeirat „Berufskrankheiten“, die Gonarthrose in die Liste der Berufskrankheiten für Fußballer aufzunehmen – wo sie bislang ziemlich einsam steht. Diese Tatsache allerdings sollte dazu führen, dass die Gonarthrose – die ihrerseits auch noch nie als Berufskrankheit in anderen Branchen anerkannt wurde – in Zukunft auch von Bodenlegern, Briefträgern, Radkurieren oder Pflegerinnen und Pflegern als Berufskrankheit gelten gemacht werden kann – und das in Bälde vielleicht ganz ohne den Klageweg einschlagen zu müssen. Insofern kann das Vorgehen als Pilotprojekt betrachtet werden – und vielleicht werden für Profisportler in Zukunft auch noch andere Berufskrankheiten anerkannt. Aber das ist ein anderes Kapitel.

Peter S. Kaspar

Bildquelle: Fotolia

Gonarthrose
Bekanntmachung
Arbeitsrecht
Umfrage
Rentnertod
pleite