Verschwundene Krankmeldungen

Mülleimer

Was für schlimme Folgen eine verschwiegene Krankschreibung haben kann, offenbarte sich vor mehr als zehn Jahren, als der Co-Pilot des Germanwings-Fluges, Andreas L., einen Airbus A 320 gezielt in eine Felswand steuerte. 150 Menschenleben kostete dieser Pilotensuizid. In Ls. Wohnung fand man später die zerrissene Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den Tag des Absturzes. Deutschland rückte damals in eine internationale Diskussion über seine restriktive Datenschutzpolitik. Jahre später könnte das wieder zu einem Thema werden. Untersuchungen haben ergeben, dass „Präsentisten“, also Menschen, die sich auch noch krank zur Arbeit schleppen, volkswirtschaftlich einen größeren Schaden anrichten als „Absentisten“, jene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die gerne mal blau machen. Doch obwohl diese Tatsache bekannt ist, gibt es bis heute keine ernstzunehmende Untersuchung darüber, wie Krankmeldungen einfach verschwinden und sich sozusagen in Luft auflösen. Gäbe es eine solche Untersuchung, so könnte sich herausstellen, dass das Präsentisten-Problem noch größer ist, als bislang angenommen. DOKTUS hat das Problem genauer betrachtet.

Warum Präsentismus so gefährlich ist

Wer keine Rücksicht auf sich selbst nimmt, zeigt häufig auch wenig Rücksicht anderen gegenüber. Konkret kann das bedeuten, dass ein ebenso hochmotivierter wie hocherkälteter Arbeitnehmer trotz seiner erkennbaren Krankheit ins Büro kommt, und dort vier andere Kolleginnen und Kollegen ansteckt. Schnell ist dann eine ganze Abteilung lahmgelegt. Jemand, der sich selbst nicht schont und trotz erkennbarer Leiden zur Arbeit kommt, spielt mit seiner Gesundheit. Irgendwann rächt es sich und die Genesung dauert viel, viel länger, als hätte er sich schon bei den ersten Anzeichen vernünftig auskuriert. Ein weiterer Aspekt: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die angeschlagen sind, sind häufig unkonzentrierter, körperlich schwächer und ermüden schneller. Das führt zu fehlerhaften Arbeitsergebnissen, die teuer korrigiert werden müssen oder gar zu Unfällen, die zu schweren Verletzungen und hohem Sachschaden führen können. Am Ende ist der betriebs- und volkswirtschaftliche Schaden, den ein erkrankter Arbeitseifriger verursacht, um ein Vielfaches höher als der des Kollegen, der zwei- oder dreimal im Jahr seinen Rausch vom Wochenende auch noch am Montag ausschläft.

Mülleimer ist keine Option mehr

Die meisten Präsentisten gehen einfach nicht zum Arzt und damit ist das Thema Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung schon keines mehr. Doch was, wenn jemand beim Arzt war und gegen seinen Willen eine AUB erhält? Früher hätte er sie, wie Andreas L. einfach zerreißen und wegwerfen können. Doch der Mülleimer ist nun keine Option mehr. Seit Januar 2023 müssen alle Praxen ihre AUBs auf elektronischem Weg an die Krankenkassen weiterleiten. Von dort gehen sie an die Arbeitgeber weiter. Die müssen sie allerdings aktiv abrufen. Je nach Unternehmen fällt es dann gar nicht auf, wenn jemand trotz Krankheit auftaucht. Doch die Gefahr für einen Krankgeschriebenen „entdeckt“ zu werden, ist nun deutlich größer geworden. Doch was macht nun ein Chef, wenn er weiß, dass einer seiner Mitarbeitenden nicht im Bett liegt, sondern am Computer sitzt oder an der Drehbank schraubt?

Vorsorge Bildschirm G 37

Die Verantwortung des Betriebsarztes

Normalerweise müsste der Vorgesetzte den Arbeitseifrigen sofort zum Betriebsarzt schicken. Der hat nun allerdings ein Problem. Einerseits ist er für die Gesundheit des gesamten Betriebs verantwortlich, andererseits unterliegt er der ärztlichen Schweigepflicht. Die elektronische AUB hilft ihm nicht weiter, denn auf der ist keine Diagnose zu erkennen. Im Grunde kann er zunächst nur ein klärendes Gespräch führen und hoffen, dass der Betroffene Einsicht zeigt. Mit dessen Einverständnis kann er auch Einblick in die elektronische Patientenakte nehmen. Danach kann er dem erkrankten Mitarbeiter seine Empfehlungen aussprechen und ihn dann hoffentlich mit den besten Genesungswünschen ins heimische Bett schicken. Allerdings gibt es auch durchaus Beschäftigte, die überzeugt sind, dass das eigene medizinische Halbwissen dem Wissen von Haus- und Betriebsärzten haushoch überlegen ist („Ich weiß am besten, was gut für mich ist“). In diesem Fall steht der Betriebsärztin oder dem Betriebsarzt noch ein anderer Weg offen. Da ihnen ja die Sicherheit aller Menschen im Unternehmen obliegt, können sie den Betroffenen aus Gründen der Gefahrenabwehr einfach so lange nicht mehr an seinen Arbeitsplatz lassen, bis er wieder gesund ist.

Peter S. Kaspar

Bildquelle: iStock, Ralf Geithe

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