Nullsummenspiel bei der Rente?
Der Übergang von der Rente mit 65 zur Rente mit 67 Jahren ist noch nicht vollzogen, da wird bereits darüber diskutiert, ob das Renteneintrittsalter nicht auf 70 Jahre angehoben werden soll. Die Ausgangssituation ist klar, immer weniger junge Einzahler ins Rentensystem müssen immer mehr Rentner versorgen. In Zeiten knapper Kassen liegt die Lösung auf der Hand. Wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer länger arbeiten und dafür später die Leistungen der Rentenkasse in Anspruch nehmen, sollte sich das angespannte System wieder ein wenig entspannen. Doch geht die Rechnung tatsächlich auf? Zumindest aus betriebsmedizinischer Sicht ist das längst noch nicht klar. Bei genauerem Hinsehen kann es nämlich sein, dass es sich bei einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit am Ende um ein Nullsummenspiel handelt. Es gibt Hinweise darauf, dass die Rentenkassen zwar Geld einsparen, dass aber andererseits die Belastungen für die Krankenkassen erheblich steigen werden. DOKTUS hat sich das einmal genauer angesehen.
Was es heißt, länger zu arbeiten
Es ist bereits heute so, dass viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer das vorgesehene Rentenalter gar nicht erreichen, sondern vorzeitig in den Ruhestand treten, weil es der gesundheitliche Zustand nicht mehr erlaubt, bis zum Renteneintrittsalter zu arbeiten. Arbeit, so ehrlich muss man sein, verschleißt den menschlichen Körper. Der Effekt ist je nach Berufsbild unterschiedlich, aber es ändert nichts an der Tatsache, dass der Mensch mit zunehmendem Alter einerseits weniger leistungsfähig, andererseits auch anfälliger für Krankheiten wird. Für Unternehmen heißt das konkret, dass ältere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Durchschnitt länger krank sind als die jüngeren Kollegen. Das führt unter anderem zu höheren Kosten, zu einem höheren Aufwand, etwa um erkrankte Kollegen zu ersetzen und schließlich auch zu einer Zunahme betrieblicher Eingliederungsmaßnahmen (BEM). Es sind klassische Alterserscheinungen, die die berufliche Leistungsfähigkeit einschränken, es sind körperliche Symptome, wie Rückenbeschwerden oder Knieschmerzen. Zudem lassen Konzentrationsfähigkeit und Leistungsvermögen nach. Müdigkeit und Erschöpfung stellen sich schneller ein. Dies ist bereits jetzt ein Problem für viele Unternehmen, das sich durch eine Anhebung der Lebensarbeitszeit noch verschärfen wird.
Schon die Diskussion ist schädlich
Allein, dass bereits über eine weitere Anhebung der Lebensarbeitszeit diskutiert wird, zeigt bei vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern schon Wirkung. Die Aussicht darauf, länger als geplant arbeiten zu müssen, löst bei manchen Menschen Ängste und Depressionen aus. Beschäftigte, die bereits jetzt merken, dass sie aufgrund von Alterserscheinungen nicht mehr zu den gleichen Leistungen fähig sind wie noch vor ein paar Jahren, fürchten sich natürlich davor, noch länger in die Pflicht genommen zu werden als ursprünglich erwartet.
Was auf die Unternehmen zukommt
Wird das Renteneintrittsalter weiter nach oben verschoben, bringt das natürlich auch einen Mehraufwand für die Unternehmen mit sich. So müssen sie sich präventiv auf eine veränderte Altersstruktur ihrer Belegschaft einstellen. Es wird häufiger zu Verfahren im betrieblichen Eingliederungsmanagement kommen. Altersbedingte Arbeitsausfälle werden häufiger, außerdem müssen nicht nur die Ausfälle ausgeglichen, sondern auch mögliche Fehler kompensieren werden, die altersbedingt auftreten können. Gerade Letzteres kann auch zu einem Problem beim Betriebsklima werden. Es ist durchaus ein sehr heikles Thema, ältere und wohlverdiente Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf Fehler hinzuweisen, die auf eine gesunkene Leistungsfähigkeit zurückzuführen sind. Oft fühlen sich solche Kollegen und Kolleginnen herabgesetzt und altersdiskriminiert. All diese Probleme sind für Unternehmen durchaus lösbar. Aber die Lösungen sind mit einem hohen Aufwand und daraus resultierende Kosten verbunden.
Das Nullsummenspiel
Zwar ist es richtig, dass eine Anhebung des Renteneintrittsalters die Rentenkassen enorm entlasten würde. Aber es ist ebenso eine Tatsache, dass auf die Krankenkassen in diesem Fall ebenfalls sehr hohe Kosten zukämen. Letztlich müsste das, was an den Rentenbeiträgen für den Einzelnen eingespart wird, bei den Krankenversicherungsbeiträgen wieder draufgeschlagen werden. Genau ist das bis zum heutigen Tage nicht zu beziffern, denn noch immer gibt es zahlreiche Unwägbarkeiten. Es gibt bislang eine Schätzung, nach der es zu einer Entlastung insgesamt von gerade mal einer Milliarde Euro im Jahr käme, wenn man die Einsparung bei den Rentenkassen mit den Mehrbelastungen für die Krankenkassen gegenrechnen würde. Die Belastungen für die Unternehmen sind bei dieser Rechnung allerdings noch nicht eingepreist.
Fazit
Eine Anhebung des Renteneintrittsalters wird nicht die Königslösung für das Rentenproblem sein, sondern im schlimmsten Fall die Probleme nur auf die Krankenkassen und die Unternehmen verlagern. Wenn es langfristig zu einer Erhöhung des Renteneintrittsalters kommen sollte, kann das nur gelingen, wenn in den Jahren zuvor durch geeignete Präventionsmaßnahmen und vielfältigen Angeboten seitens der Kassen oder seitens der Unternehmen an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer das Gesundheitslevel auf so einem hohen Niveau gehalten wird, dass die Leistungsfähigkeit sowohl im mentalen also ein physischen Bereich erhalten bleibt.
Peter S. Kaspar
Bildquelle: Fotolia