Auf den Grund gegangen

Senkkasten

Wie entsteht eigentlich Arbeitsschutz? Wie entwickelt sich die Betriebsmedizin? Sind es irgendwelche namenlose Beamte, die sich in ihren Amtsstuben Dinge ausdenken, die einem das Leben nur schwerer machen? Tatsächlich ist oft der bittere Alltag der wahre Lehrmeister für effektiven Arbeitsschutz und erfolgreiche Betriebsmedizin. Viele Katastrophen und Unfälle gehen auf menschliches Versagen zurück. Hinter dieser Floskel verbirgt sich normalerweise, dass der oder die Verantwortlichen sich nicht um bestehende Regeln gekümmert haben und stattdessen eine Abkürzung suchten, die dann fatale Folgen hatte. Bisweilen sind Unglücke aber auch unausweichlich, einfach deshalb, weil man gar nicht weiß, wo die Gefahr lauert. Wenn diese Vorfälle genau untersucht werden und man die Gründe findet, folgt daraus meist ein großer Sprung in der Entwicklung hin zu einem sichereren Arbeitsplatz. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür ist die Entdeckung der Caisson-Krankheit und sind die Konsequenzen, die daraus gezogen wurden. Sie reichen bis in unsere Zeit. DOKTUS geht in einer Tauchreise in die Vergangenheit dem Arbeitsschutz auf den Grund.

Verhängnisvoller Fortschritt

Die industrielle Revolution brachte fantastische Fortschritte mit sich, aber auch bis dahin unkalkulierbare Risiken. So war es inzwischen wesentlich einfacher geworden, Flüsse mit Tunneln zu unterqueren oder Fundamente von Brückenpfeilern für gigantische Brücken zu setzen. Man benutzte Senkkästen, auch Caissons genannt, die man mit Druckluft befüllte. Das sollte einen Wassereinbruch erschweren, der die Arbeiter in den Kästen vermutlich getötet hätte. Was man damals noch nicht ahnen konnte: Auch die Druckluft barg gewaltige Gefahren für Leib und Leben. Arbeiter, die aus den Kästen kamen, spürten oft ein unangenehmes Kribbeln unter der Haut, andere klagten über große Schmerzen in den Gelenken, einige wurden von unerklärlichen Lähmungen befallen. Und schließlich starben auch einige Arbeiter, nachdem sie die Kästen verlassen hatten, einen qualvollen Tod. Erstmals traten diese mysteriösen Symptome beim Bau von Flusstunneln in England in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts auf. Richtig bekannt wurde die merkwürdige Krankheit, als es bei den Bauarbeiten zur Eads Bridge in St. Louis und zur Brooklyn-Bridge in New York zu unerklärlichen Todesfällen kam. 1857 entwickelte der deutsche Arzt Felix Hoppe-Seyler die Theorie, dass eine Gasblasenembolie diese Krankheit auslösen könnte. 1869 veröffentlichte sein französischer Kollege Alfred Leroy de Mericourt eine Abhandlung, in der er die Caisson-Krankheit schon sehr genau beschrieb. Doch es fehlte noch an praktischen Möglichkeiten, sie zu verhindern.

Vorsorge Überdruck G 31

Die Stunde der Betriebsmediziner

Schließlich wurden recht aufwändige Verfahren entwickelt, die das Arbeiten in Senkkästen ohne Gefahr ermöglichten. Doch der Aufwand lohnte sich, denn die Technik ermöglichte unglaubliche Bauten. Der Eiffelturm in Paris, die Westminster und die Tower Bridge in London, die U-Bahn unter der Bucht von San Francisco oder der Leuchtturm Roter Sand hätten ohne Senkkästen nicht errichtet werden können. Sie sind in gewisser Hinsicht auch Denkmale für die Betriebsmedizin, die das erst möglich gemacht hatte. Die Lösung für das Problem der Ciasson-Krankheit lag in der Druckkammer. Arbeiter, die lange einem Überdruck ausgesetzt waren, kamen nun in eine Dekompressionskammer, in der sie langsam wieder auf den Umgebungsdruck angepasst wurden. Und nun schlug die Stunde der Betriebsmediziner. Das Verfahren erforderte nämlich, dass die Arbeiter vor, während und nach der Kammerfahrt genauestens medizinisch beobachtet wurden, um im Notfall eingreifen zu können. Die Dekompressionskammer war also ohne medizinische Unterstützung nichts anderes als eine Metallröhre. Erst der begleitende Mediziner gab ihr einen Sinn. Hier wurde auch das Prinzip geboren, dass der Betriebsmediziner nicht zum Heilen von Krankheiten da ist, sondern um zu verhindern, dass überhaupt erst Krankheiten durch die Arbeit entstehen. Überwachung und Vorsorge machten die weitere Nutzung von Senkkästen erst möglich. Ohne arbeitsmedizinische Expertise wäre das allerdings nicht leistbar.

Von der Berufskrankheit zur Freizeitkrankheit

Von der Caisson-Krankheit sprechen heute fast nur noch Medizinhistoriker. Als Berufskrankheit kommt sie kaum noch vor, dank der arbeitsmedizinischen Prävention. Trotzdem werden auch heute noch viele Großprojekte mit Hilfe von Senkkästen gebaut. Im Zentrum Berlins etwa wurden sowohl der Tiergartentunnel als auch das Unterirdische Erschließungssystem (UES) mit Hilfe von Senkkästen realisiert. Ausgestorben ist die Caisson-Krankheit allerdings nicht. Vielmehr hat sie heute einen anderen Namen, der den meisten Menschen geläufiger ist: Taucherkrankheit. Die meisten Menschen, die heute nicht vorbeugend, sondern wegen eines medizinisch bedingten Notfalls in Dekompressionskammern behandelt werden, sind Sporttaucher, die es mit den Sicherheitsregeln nicht so genau genommen haben, zu große Risiken eingingen oder für den Sport einfach nicht geeignet waren.

Peter S. Kaspar

Bildquelle: Wikipedia

Senkkasten
Gonarthrose
Bekanntmachung
Arbeitsrecht
Umfrage
Rentnertod