Mit ADHS im Beruf leben
Aufmerksamkeitsdefizit und Hyperaktivitätsstörung – dieses Wortmonster verbirgt sich hinter dem Kürzel ADHS. Nur wenige Krankheitsbilder waren in den vergangenen Jahrzehnten so umstritten. Den einen galt sie als nie belegte Modekrankheit und andere – in erster Linie Eltern schulpflichtiger Kinder – zitterten bei dem Gedanken, dass die lebhafte Tochter oder der vorlaute Sohn eines Tages mit der Diagnose ADHS nach Hause kommen könnte. Diese neurologische Störung, so waren Fachleute noch vor wenigen Jahren überzeugt, ist eine Erkrankung, die nur Kinder und Jugendliche betrifft. Doch inzwischen berichten immer mehr Erwachsene, dass sie von der adulten ADHS betroffen sind. Für sie ist das Berufsleben eine beständige große Herausforderung. Doch das gilt nicht nur für die direkt Betroffenen. Auch Arbeitgeber müssen sich dann mit einem komplexen Krankheitsbild auseinandersetzen. Am Ende ist es die Betriebsärztin oder der Betriebsarzt, die oder der gegebenenfalls Lösungen finden muss. DOKTUS hat sich die Situation genauer angeschaut und überraschend festgestellt, dass diese Diagnose für Betroffene und Unternehmen im Berufsleben sogar eine Chance bedeuten kann.
Nur eine Modekrankheit?
In den 1990er Jahren und zu Beginn des neuen Jahrhunderts galt das Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom vielen als Modekrankheit oder gar eine Erfindung der Pharmalobby. Immerhin schossen in jener Zeit sowohl die Diagnosen als auch die Umsatzzahlen des Medikaments Ritalin in die Höhe. Schließlich wurde es ruhiger um die Krankheit, bis vor wenigen Jahren immer deutlicher klar wurde, dass es auch eine Form der Krankheit gibt, die Erwachsene betrifft. Seither häufen sich die Berichte von Betroffenen, die darunter schwer zu leiden haben – vor allem im Beruf. Häufig sehen auch sie sich dem Vorwurf ausgesetzt, sich lediglich eine „Modekrankheit“ zugelegt zu haben. Tatsächlich jedoch ist ADHS eine Krankheit, die sehr differenziert in der ICD-11 Liste für Krankheiten aufgeführt wird. Die Folgen, die ADHS für Erwachsene mit sich bringen können, klingen dramatisch: Aufmerksamkeitsstörung, motorische Hyperaktivität, Affektlabilität, desorganisiertes Verhalten, mangelnde Affektkontrolle, Impulsivität und emotionale Überreagibilität. Jedes dieser Symptome kann im Berufsleben zu mehr oder weniger großen Problemen führen.
ADHS und die Betriebsmedizin
Notwendigerweise ist die Krankheit ein Problem, mit dem sich auch die Betriebsmedizin auseinandersetzen muss. Eine an ADHS erkrankte Person kann den ordentlichen Ablauf in einem Unternehmen durcheinander bringen. Verschärft wird dieses Problem auch durch die Tatsache, dass mit steigenden Diagnosen auch die Aufgaben für die Betriebsmedizin wachsen, in einer Zeit, in der es zu wenig Betriebsärztinnen und Betriebsärzte gibt. Im Arbeitsalltag können viele Probleme auftreten. Durch die mangelnde Konzentrationsfähigkeit kann zum Beispiel die Unfallgefahr steigen. Geringe Affektkontrolle kann zu empfindlichen Störungen im Betriebsklima führen, desorganisiertes Verhalten stört den Arbeitsablauf. Es gibt also eine Menge Gefahren, die Betriebsärztinnen und Betriebsärzte im Blick haben müssen. Ihre erste Aufgabe wird in diesem Fall sein, Aufklärungsarbeit über das Krankheitsbild zu leisten.
Ein Krankheit als Chance
Arbeitsplätze für Menschen mit AHDS müssen also so gestaltet sein, dass bestimmte Symptome der Betroffenen weder die Arbeitsabläufe noch das Betriebsklima beeinträchtigen. Genau an diesem Punkt tut sich allerdings auch eine große Chance für alle Betroffenen auf. Oft verfügen ADHS-Patienten auch über ein außergewöhnlich hohes Maß an Kreativität und bisweilen auch Energie, die, in die richtigen Bahnen gelenkt, sowohl für ein Unternehmen als auch für die Betroffenen von großem Vorteil sein kann. Dazu müssen aber die richtigen Strategien angewendet werden. So kann es sehr hilfreich sein, den Arbeitsplatz von allem zu befreien, was der Ablenkung dienen könnte. Abgeschirmte Arbeitsplätze oder Noise-Cancelling-Kopfhörer sind häufig förderlich, ebenso wie eine möglichst klare Struktur des Arbeitstages und ein straffes Zeitmanagement. Wichtig ist allerdings in diesem Zusammenhang auch eine enge Koordination mit Fachärzten, denn das Krankheitsbild kann individuell sehr komplex sein, sodass es den einen Königsweg nicht gibt.
Peter S. Kaspar
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