Wenn es im Denken Lücken gibt
Eigentlich sollte die Boomer-Generation so langsam in Rente gehen. Doch weil sie sich so wenig fortpflanzungswillig zeigte, präsentieren ihr die Nachfolgegenerationen nun die Rechnung. Wenn immer weniger junge Menschen immer mehr Rentner tragen müssen, dann sollen die auch etwas dazu beitragen, die Renten zu sichern. Die Vorschläge schwanken zwischen ernst und skurril. In die letzte Kategorie fallen Überlegungen für eine Rentnerwehrpflicht. Die Ausdehnung der Altersteilzeit oder Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 70 Jahre gehören dagegen zu den realistischen Szenarien. Das stellt dann allerdings auch die Betriebsmedizin vor neue Herausforderungen. Eines der sensibelsten Probleme, mit denen sich Betriebsärztinnen und Betriebsärzte in Zukunft wohl häufiger auseinandersetzen müssen, ist das Thema Demenz. Die Betroffenen wollen die Diagnose oft nicht wahrhaben, rüttelt sie doch an ihrem Selbstverständnis. Viele fürchten auch, dass dies das Ende ihres beruflichen Daseins ist, über das sie sich definieren. Doch eine beginnende Demenz muss nicht das Aus bedeuten. Im Gegenteil, bei einem bewussten und achtsamen Umgang können am Ende Mitarbeiter, Kollegen und Arbeitgeber viel voneinander lernen und am Ende sogar alle ein Stück weit profitieren. Wie das funktionieren kann, erklärt DOKTUS.
Der schmale Grat
Die Kollegen sind häufig die ersten, denen etwas auffällt. Der altgediente und ansonsten zuverlässige Mitarbeiter macht jetzt häufiger mal einen Fehler. So ist es eben, wenn man älter wird. Auch die ein oder andere Wortfindungsstörung taucht auf. Aber wer kennt das nicht? Jeder hat das schon mal gehabt, nicht nur nach einer durchzechten Nacht. Dann häuft es sich, dass der ältere Kollege von früher erzählt. Da wäre ja nichts dabei, doch die Geschichten wiederholen sich. Oft erzählt er die Geschichte von Vortag am nächsten Tag noch mal, als sei sie völlig neu. Nun fängt das Getuschel an und auf das Getuschel fällt das schnelle Urteil: Der Kollege ist ja total dement. Ist er das wirklich? Seriös kann das nur ein Arzt beurteilen. Alles, was die Kollegen mitbekommen haben, sind einzelne Symptome, die zwar in ihrer Häufung einen begründeten Anfangsverdacht ergeben, aber für eine seriöse Diagnose natürlich noch lange nicht ausreichen. Doch wie sollen sie sich verhalten? Getuschel hinter dem Rücken ist etwa ebenso falsch, wie mit der Tür ins Haus zu fallen. Tatsächlich sollten alle Auffälligkeiten erst einmal über einen längeren Zeitraum dokumentiert werden. Kurze Momentaufnahmen taugen wenig für ein seriöses Bild. Sollte sich der Verdacht verfestig haben, ist es am Vorgesetzten zunächst ein offenes, aber wertschätzendes Gespräch anzubieten, mit der Bitte, den Betriebsarzt aufzusuchen. Anordnen kann er es nicht, ebenso wenig kann der Betriebsarzt einen Mitarbeiter zu sich zitieren. Der Besuch beim Betriebsarzt beruht immer auf Freiwilligkeit, es sei denn die Sicherheit im Betrieb ist gefährdet. Deuten für die Betriebsärztin oder den Betriebsarzt nach einer ersten Untersuchung die Symptome tatsächlich auf eine beginnende Demenz hin, wird der Patient an einen entsprechenden Facharzt, zu Beispiel einen Neurologen verwiesen.
Miteinander am Arbeitsplatz
Ist eine Demenzerkrankung amtlich, ändert sich der Rechtsstatus des Beschäftigten. Denn ab nun gilt er nach dem Sozialgesetzbuch IX als schwerbehindert. Das hat einige Konsequenzen. Unter anderem kann das Unternehmen Fördermittel beantragen. Die wird es allerdings brauchen, denn der Arbeitsplatz muss entsprechend angepasst werden. So können zum Beispiel Erinnerungssysteme installiert werden. Checklisten erleichtern die Arbeit. Insgesamt muss möglicherweise auch der Arbeitsalltag geändert werden. So können Arbeitsabläufe gestrafft und strukturiert werden. Routinen und Rituale sind hilfreich. Auch Pausen können verlängert werden. Doch bei allem, das geändert oder umgestaltet wird, muss der betroffene Mitarbeiter mit eingebunden werden. Nicht jede Demenz ist gleich. Es gibt unterschiedliche Arten und Formen. Manchmal sind es Bewegungsabläufe, die schwer fallen, bei anderen spielt das Erinnerungsvermögen nicht mehr so richtig mit.
Doch nicht nur für den Betroffenen selbst ist die Umgestaltung seines Arbeitsplatzes und die Neuorientierung eine Herausforderung. Auch der Kollegenkreis sieht sich nun vor die Aufgabe gestellt, sich in einem neuen Arbeitsumfeld zurecht zu finden. Nicht jedem wird das gleich leichtfallen. Sinnvoll ist daher die Entwicklung eines Sensibilisierungsprogrammes zum Thema Demenz für alle Mitarbeitenden in einem Unternehmen. Führungskräfte müssen für den Umgang besonders geschult werden.
Und die Betriebsmedizin?
Für die Betriebsärztin oder den Betriebsarzt wird eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter mit einer Demenzerkrankung zu einer besonderen und dauernden Herausforderung. Denn nun gilt es, den Krankheitsverlauf zu verfolgen und mögliche Konsequenzen vorzuschlagen. So kann es sein, dass der Arbeitsplatz, je nach Zustand des Patienten, noch einmal angepasst werden muss, dass Ruhezeiten verlängert und Arbeitszeiten verkürzt werden müssen. Wenn es dann wirklich absehbar ist, dass das Arbeitsleben nun zu Ende gehen muss, dann ist es an der Betriebsärztin oder dem Betriebsarzt den betroffenen Mitarbeiter möglichst schonend auf diesen Zeitpunkt vorzubereiten.
Peter S. Kaspar
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