Mehr Freiheit für Betriebsärzte

Umfrage

Sollen Betriebsärzte in Zukunft mehr Kompetenzen und Freiheiten bekommen? Wenn es nach Gertrud Demmer geht, die der Siemens-Betriebskrankenkasse (SBK) vorsteht, lautet die Antwort eindeutig ja. Sie beruft sich dabei auf eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov, die die SBK dort in Auftrag gegeben hatte. YouGov hatte Ende Juli 2025 insgesamt 1047 Beschäftigte in Unternehmen unterschiedlicher Größe befragt. Die Meinungsforscher wollten unter anderem wissen, wie sehr Betriebsärzte frequentiert werden und ob die Mitarbeitenden denn auch zufrieden mit den Leistungen von Betriebsärztinnen und Betriebsärzten sind. Die Umfrage brachte einige bemerkenswerte Ergebnisse zutage. Nicht minder bemerkenswert sind die Schlussfolgerungen, die die SBK-Chefin Gertrud Demmer daraus zieht. Ginge es nach ihr, würde sich die Rolle der Betriebsmediziner grundlegend ändern. DOKTUS versucht, die Vorschläge darzustellen und einzuordnen.

Wie akzeptiert sind Betriebsärzte?

52 Prozent der Befragten haben schon einmal die Leistung eines Betriebsarztes in Anspruch genommen. Erstaunlich ist aber eine andere Zahl. 63 Prozent der Beschäftigten wünschen sich, dass Betriebsärztinnen und Betriebsärzte mehr Leistungen anbieten dürfen als bislang. Von all denen, die schon einmal mit ihrem Betriebsarzt zu tun hatten, bewerteten 71 Prozent die Versorgung als gut oder gar sehr gut. Mehr als die Hälfte der Mitarbeitenden (52%) sieht es als Vorteil, dass die betriebsärztliche Versorgung flexibel in den Arbeitsalltag eingebettet ist. Genau die Hälfte sieht einen großen Vorteil darin, dass die Wartezeiten erheblich kürzer sind als beim Hausarzt. Und schließlich betonen 42 Prozent, dass sie keine langen Anfahrtswege haben, wenn sie den Betriebsarzt besuchen wollen. 
Diesen Zahlen steht allerdings auch eine andere gegenüber. 46 Prozent der Interviewten gaben an, noch nie eine betriebsärztliche Leistung in Anspruch genommen zu haben. YouGov wollte natürlich auch wissen, warum das so ist. Die häufigsten Angaben waren, dass meistens nur arbeitsschutzrelevante Leistungen angeboten werden. Außerdem wurden komplizierte Abrechnungsmöglichkeiten genannt.

Gertrud Demmer und die Betriebsärzte

In den 46 Prozent sieht Gertrud Demmer kein Problem, sondern, ähnlich wie YouGov, noch ungenutztes Potential. Sie sagt: „Die betriebsärztliche Versorgung versteht sich nicht als Ersatz, sondern als sinnvolle Ergänzung zur hausärztlichen Betreuung.“ Sie fordert eine engere Abstimmung zwischen hausärztlicher und betriebsärztlicher Betreuung. Dadurch könne die Prävention deutlich verbessert werden. Für Demmer eine Win-Win-Situation: „So profitieren die Beschäftigten doppelt – durch gute Versorgung am Arbeitsplatz und im persönlichen Umfeld“.
Das geht allerdings nur, wenn die Kompetenzen und Freiheiten der Betriebsärzte ausgeweitet werden. Mehr Impfungen oder Gesundheits-Check-Ups könnten von Betriebsärztinnen und Betriebsärzten übernommen werden. Auch bei chronischen Erkrankungen, wie Diabetes, Asthma oder Hypertonie kann eine betriebsärztliche Betreuung von Vorteil sein.

Vorsorge Bildschirm G 37

Für und Wider

Der Vorschlag von Gertrud Demmer klingt zunächst verlockend. Eine stärkere Vernetzung von Haus- und Betriebsarzt macht tatsächlich Sinn. Auch der Blick auf die Prävention ist durchaus richtig. Gingen Haus- und Betriebsärzte in Zukunft Hand in Hand, würde das den Krankenkassen viele Millionen Euro im Jahr sparen. Insofern ist es wenig überraschend, dass der Vorschlag auch von einer Krankenkasse kommt. Die YouGov-Umfrage lässt allerdings auch das ein oder andere brisante Detail offen. Das ist zum Beispiel die psychosoziale Beratung. Gerade zehn Prozent der Befragten hatten diese Leistung schon einmal in Anspruch genommen. Das steht in einem krassen Missverhältnis zur Zahl der Krankschreibungen, von denen inzwischen fast die Hälfte auf psychische Ursachen zurückgeht. Dieses Problem wird von Demmers Vorschlägen nicht berührt.

Doch es gibt bei der Umsetzung noch eine ganz andere große Schwierigkeit. Eine Ausweitung der Kompetenzen brächte auch einen deutlich größeren Aufwand für Betriebsärztinnen und Betriebsärzte mit sich. Doch die sind inzwischen in Deutschland Mangelware geworden. Es werden weniger Betriebsmediziner ausgebildet, als Jahr für Jahr in den Ruhestand gehen. Gleichzeitig wachsen aber die Anforderungen an die Betriebsmedizin Jahr für Jahr. Gerade die genannten psychischen Probleme haben zu einem enormen Fortbildungsdruck in der Betriebsmedizin gesorgt. Das alles lässt Zweifel daran aufkommen, ob Demmers Vorschläge jemals Realität werden. Doch ganz abschreiben sollte man die Ideen nicht, denn es gibt durchaus neue technische Möglichkeiten, die das Zusammenarbeiten zwischen Haus- und Betriebsärzten erleichtern können, zum Beispiel die elektronische Patientenakte oder die Telemedizin. Diese Mittel sind geradezu dafür geschaffen, dass sich die beiden Bereiche miteinander vernetzen.

So gut die Ideen auch sein mögen, am Ende reduziert sich alles auf die eine und entscheidende Frage: Wo kommen neue Betriebsärzte her?

Peter S. Kaspar

Bildquelle: iStock, Andrii Yalanskyi

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