Wo, bitte, geht’s zum Betriebsarzt?

gelangweilter Arzt

Von Gesetzes wegen ist es eine sehr klare Angelegenheit. Jedes Unternehmen, das auch nur eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter beschäftigt, muss einen Betriebsarzt nachweisen können. Und dieser Betriebsarzt oder diese Betriebsärztin ist dann dafür da, das Arbeitsumfeld so im Blick zu halten, dass es die Gesundheit der Mitarbeitenden nicht gefährdet. Da wäre es schon ganz sinnvoll, wenn diese medizinische Fachkraft die Angestellten auch ab und an zu Gesicht bekäme. Das sollte auch in der Theorie gut funktionieren. Denn für jede Sparte, jede Berufsgruppe gibt es Vorsorgeuntersuchungen. Spätestens dann müssten Betriebsärztin oder Betriebsarzt ihre Schutzbefohlenen auch kennenlernen. Ist das so? Es gibt da allerdings ein kleines strukturelles Problem. Nicht jede Vorsorgeuntersuchung ist verpflichtend. Tatsächlich fallen einige Vorsorgeuntersuchungen unter die Rubrik Angebotsvorsorge. Das heißt, dass das Unternehmen die Untersuchung zwar anbieten muss, Arbeitnehmer aber nicht dazu gezwungen werden können. Da stellt sich zwangsläufig die Frage: Wie viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nehmen diese Angebote überhaupt an? DOKTUS ist der Frage nachgegangen.

Je größer, desto besser

Genaue Zahlen darüber zu bekommen, wie viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Angebote und Dienste von Betriebsärztinnen und Betriebsärzten tatsächlich in Anspruch nehmen, ist ziemlich schwierig. Doch einige Tendenzen sind sehr deutlich erkennbar. Je größer ein Unternehmen ist, desto häufiger kommen die Mitarbeitenden in Kontakt mit Betriebsärzten. Ein Grund dafür ist wohl auch, dass es in großen Unternehmen festangestelltes Personal gibt, das über die Gesundheit ihrer Belegschaft wacht. Große Unternehmen wie zum Beispiel die Mercedes-Benz AG, Siemens oder Bayer verfügen an verschiedenen Standorten über ganze Gesundheitszentren, in denen nicht nur Ärzte, sondern auch andere medizinisch geschulte Fachkräfte, wie etwa Betriebskrankenschwestern arbeiten. Doch je kleiner die Unternehmen werden, desto geringer wird das festangestellte medizinische Personal. Für viele Klein- und mittelständische Unternehmen ist es schon wirtschaftlich gar nicht möglich, eine Betriebsärztin oder einen Betriebsarzt anzustellen. Sie müssen die betriebsmedizinische Expertise über externe Dienstleister erwerben. So ist es nicht verwunderlich, dass die Zahl der Vorsorgeuntersuchungen rapide absinkt, je kleiner die Unternehmen sind. Nach einer Untersuchung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) liegt die Zahl derer, die bei großen Unternehmen Vorsorgeuntersuchungen in Anspruch nehmen bei bis zu 60 Prozent. Bei Firmen mit 10 oder weniger Mitarbeitenden geht nur jeder fünfte zur Vorsorgeuntersuchung.

Kommunikation ist ein Schlüssel

Doch es ist nicht nur die Größe allein, die darüber entscheidet, ob betriebsmedizinische Angebote bei den Angestellten ankommen. Überall dort, wo diese Angebote klar kommuniziert werden und auch die Wichtigkeit deutlich unterstrichen wird, ist die Akzeptanz der betriebsärztlichen Betreuung deutlich höher. Es liegt also auch an den Unternehmen, der ganzen Belegschaft klarzumachen, wie wichtig gesundheitliche Vorsorge am Arbeitsplatz ist. Dabei geht es nicht nur darum, gesetzliche Vorgaben zu erfüllen. Eine umfassende betriebsärztliche Betreuung führt auch automatisch zu einer gesünderen Mitarbeiterschaft. Das bedeutet weniger Ausfallzeiten, höhere Motivation und bessere Arbeitsleistungen. Es ist also eine Win-Win-Situation, die sich auf lange Sicht auch eindeutig auszahlt. Kurz gesagt: Wer an der Betriebsmedizin spart, spart am falschen Ende.

Vorsorge Bildschirm G 37

Bedenken überwinden

Trotzdem gibt es noch immer Unternehmer, für die Betriebsmedizin nur ein reiner Kostenfaktor ist. Doch auch unter Arbeitnehmenden gibt es viele Bedenkenträger, deren Haltung sich aus Vorurteilen gegen Betriebsärzt:innen speist. Manche Mitarbeitenden glauben, dass Betriebsmediziner:innen irgendwie mit der Unternehmensleitung unter einer Decke steckt, dass sie sozusagen ein Überwachungsorgan auf medizinischer Seite sind, mit deren Hilfe auch schon mal missliebige Mitarbeitende rausgeworfen werden können. Das ist natürlich ein Vorurteil, das jeglicher Grundlage entbehrt. Wie alle anderen Ärzt:innen unterliegen auch Betriebsärztinnen und Betriebsärzte der Schweigepflicht. Sie dürfen auch der Unternehmensleitung gegenüber keine medizinischen Diagnosen weitergeben, es sei denn mit dem Einverständnis des Betroffenen, denn sie sind in erster Linie dem Wohl ihrer Patienten verpflichtet. Auch hier ist es an den Unternehmen, mögliche Bedenken und Vorurteile gegenüber Betriebsärztinnen und Betriebsärzten auszuräumen.

Noch Luft nach oben

Auch wenn der Mangel an Betriebsmediziner:innen in Deutschland eklatant ist, so gilt aber auch, dass dieser Mangel noch viel schlimmer wäre, wenn wirkliche alle Beschäftigten ihr Recht auf Vorsorgeuntersuchungen wahr nehmen würden. Trotzdem bleibt es natürlich bedenklich, wenn selbst in großen Unternehmen nicht einmal zwei Drittel der Belegschaft sich betriebsmedizinisch untersuchen lassen.

Peter S. Kaspar

Bildquelle: iStoc,, AaronAmat

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