Unfall oder Unglück?

Arbeitsweg

Das Thema Wegeunfall ist ein schier unerschöpfliches und wird die Gerichte noch viele Jahrzehnte beschäftigen. Normalerweise handelt es sich bei den Streitfällen darum, was noch zum Arbeitsweg gehört und was nicht. So scheidet zum Beispiel der Unfall beim Brötchenholen auf dem Arbeitsweg aus, wird ein Kind auf dem Weg zur Arbeit in der Kita abgesetzt, greift die gesetzliche Unfallversicherung, wird es in der Schule abgesetzt, dann nicht. Der Arbeitsweg an sich ist also schon ein kompliziertes Konstrukt. Doch das ist noch nicht alles. Manchmal stellt sich auch die Frage, was ist überhaupt ein Unfall? Das klingt auf den ersten Blick einfach, ist es aber oft gar nicht. Nicht immer wird es als Unfall definiert, wenn ein Mensch unterwegs zu seiner Arbeitsstelle zu Schaden kommt. DOKTUS wandelt auf dem schmalen Grat zwischen Unfall und Unglück.

Plötzlich und unvorhersehbar

Die Definition für einen Unfall scheint zunächst ziemlich eindeutig. Es handelt sich – klar – um ein Ereignis. Viele Ereignisse kündigen sich auf unterschiedliche Weise vorher an, etwa ein schweres Gewitter durch eine schwarze Wolkenfront und Blitze am Horizont. Damit fallen Ereignisse wie Sturm und Gewitter schon mal durch, denn ein Unfall muss laut Definition plötzlich und unvorhersehbar sein. Wer also auf dem Weg zur Arbeit einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall erleidet, ist fein raus, weil die Behandlung von der Berufsgenossenschaft bezahlt wird? Leider nein, denn die BG wird darauf hinweisen, dass das Ereignis „durch eine von außen wirkende Kraft oder Ursache hervorgerufen wird“, um als Unfall gewertet zu werden. Herzinfarkt und Schlaganfall kommen zweifellos von innen und können daher zwar ein Unglück, aber kein Unfall sein. Schließlich heißt es auch nicht „Deutsche gesetzliche Unglücksversicherung“ sondern Unfallversicherung.

Schließlich gibt es auch noch ein viertes Kriterium, das den Unfall definiert: Es muss ein Ereignis sein, das sich in einem klar definierten Zeitraum und einem ebenso klar definierten Ort abspielt. Bei Herzinfarkt oder Schlaganfall nimmt die Versicherung grundsätzlich erst einmal eine Vorerkrankung an, die letztlich zu dem dramatischen Ereignis geführt hat, was also einen längeren Prozess bedeutet und daher zeitlich nicht mehr so genau definiert werden kann – und schon gar nicht an einem bestimmten Ort.

Das war knapp

Doch so klar diese Definitionen auch scheinen, es gibt noch immer viel Spielraum, um vor Gericht darüber zu streiten. Wie immer kommt es eben auf die konkreten Umstände an. Eine Situation, die täglich auf deutschen Straßen vorkommt. Es kommt eben nicht zu einem Unfall, sondern „nur“ zu einer gefährlichen Situation. Jeder kennt das Gefühl und den Stoßseufzer: „Das war knapp“. Was aber, wenn jemandem der Schreck so in die Glieder fährt, dass sein Herz verrücktspielt und es zu einem Herzinfarkt kommt? Auch da wird die Berufsgenossenschaft sich zunächst auf die Definitionen eines Unfalls zurückziehen. Ein guter Fachanwalt könnte bei einer Verhandlung vor dem Sozialgericht aber genau diese Definition in Frage stellen, denn es war ja offensichtlich ein plötzliches und unvorhersehbares Ereignis an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit. Die BG würde weiterhin mit einer noch nicht erkannten Vorerkrankung argumentieren. Am Ende läge es einmal mehr in den Händen der Richter, die schließlich gut dafür bezahlt werden, um genau solche Fragen mehr oder minder endgültig zu entscheiden.

Vorsorge Bildschirm G 37

Infarkt nach Sturz?

Ein anderes Szenario allerdings holt die BG dann doch wieder zurück ins Boot. Wenn es in Folge eines Unfalls der zu einem Sturz führt, zu einem Herzinfarkt kommt, dann sieht es noch einmal anders aus. In diesem Fall könnte sehr wohl der Versicherungsschutz über die Berufsgenossenschaft greifen. Das führt dann noch zu einer anderen Frage: die Herzbehandlung nach einem Sturz ist die eine Sache, aber was, wenn es noch zu anderen Verletzungen gekommen ist? Unmittelbare Unfallverletzungen können gegebenenfalls unter den Versicherungsschutz der BG fallen. Das kann letztlich zu der etwas eigenartigen Situation führen, dass die Berufsgenossenschaft für die Behandlung des gebrochenen Beines bezahlt, für die Behandlung des erkrankten Herzens aber nicht.

Es scheint, dass es auch in Zukunft für Anwälte und Gerichte noch genug zu tun gibt, auf dem weiten Feld des Wegeunfalls.

Peter S. Kaspar

Bildquelle: iStock, kid-a

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