Hausarzt oder Betriebsarzt?
Während für viele Menschen der Hausarzt eine Person ist, die hohes Vertrauen genießt und manchmal sogar fast den Status eines Familienmitglieds erlangt, reagiert so mancher skeptisch, wenn die Rede auf den Betriebsarzt kommt. Für viele steht die Betriebsärztin oder der Betriebsarzt im Verdacht, der verlängerte Arm des Chefs zu sein. Wenn der Betriebsarzt in Erscheinung tritt, dann passiere das stets vor einem negativen Grund, lautete ein unausrottbares Vorurteil. Doch das ist, wie viele andere Erzählungen über „den“ Betriebsarzt, bestenfalls eine Legende. Aus solchen Legenden heraus erwachsen solche Sprüche, wie „Eh ich zum Betriebsarzt gehe, gehe ich doch lieber zu meinem Hausarzt“. Das ist nicht nur Blödsinn, so eine Einstellung kann am Ende sogar gefährlich sein.
Die Schatten der Vergangenheit
Dass Betriebsärztinnen und Betriebsärzte oft mit einer gewissen Zurückhaltung begegnet wird, hängt vielleicht auch mit der Vergangenheit zusammen. Besonders gut ist die Geschichte der Betriebsmedizin im Dritten Reich zwar noch nicht erforscht. Doch eines ist verblüffend. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges, 1939 bis 1944 verachtfachte sich die Zahl der Betriebsmediziner. Zwar starteten die Zahlen bei dem niedrigen Niveau von rund 980, doch 1944 zählte man in Deutschland auf einmal über 8.000 Betriebsärzte. Warum das so war, ist Gegenstand historischer Untersuchungen, doch dass ein politischer Grund dahintersteckte, ist vermutlich weit mehr als nur Spekulation. Auch in der DDR wurde der Betriebsmedizin große Bedeutung zugemessen, was in einem sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaat vielleicht auch nicht so überraschend ist. Genauso wenig wie die Tatsache, dass die Betriebsmedizin in der DDR den sozialistischen Menschen in den Mittelpunkt rückte. Auch hier wurden Betriebsärztinnen und Betriebsärzte bisweilen vor den politischen Karren gespannt.
Skepsis ist unangebracht
Die Betriebsmedizin von heute hat mit der Vergangenheit nur noch wenig gemein. Im Grunde ist ein Betriebsarzt ein Arzt wie alle anderen – und das bedeutet für ihn, dass er wie alle anderen Mediziner:innen der Schweigepflicht unterliegt. Das bedeutet, dass er gegenüber der Unternehmensleitung keinerlei Auskunft über den Gesundheitszustand der Mitarbeitenden geben darf. Wo er aus Sicht des Betriebsmediziners allerdings sehr wohl den Daumen heben oder senken darf, sind Einstellungsuntersuchungen. Wenn ein Kandidat den künftigen beruflichen Herausforderungen aus körperlichen Gründen nichts gewachsen ist, dann ist es am Betriebsarzt, diese Gründe herauszufinden. Doch selbst dann darf er keinerlei medizinische Befunde herausgeben es sei denn, die Probandin/ der Proband entbindet ihn von der Schweigepflicht.
Wann der Betriebsarzt besser ist
Tatsächlich gibt es Situationen, da ist es für einen Betroffenen sogar besser, sich an den Betriebsarzt, als an den Hausarzt zu wenden. Das gilt immer dann, wenn die Beschwerden möglicherweise auf den Beruf zurückzuführen sind. Ist das nämlich der Fall, dann ändert sich versicherungstechnisch nämlich alles. Die Versorgung durch die gesetzliche Unfallversicherung beziehungsweise durch die Berufsgenossenschaft ist nämlich der gesetzlichen Krankenversicherung deutlich vorzuziehen. Im Idealfall arbeiten Betriebsarzt und Hausarzt Hand in Hand. Und besser kann es der Patient dann gar nicht treffen.
Peter S. Kaspar
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